Die 50-Jährigen haben sie, die 40-Jährigen nicht – die Pockenimpfung.
Erst 1976, gut 100 Jahre nach dem Reichsimpfgesetz von 1874, wurden die Erstimpfung und schließlich 1983 die Pockenimpfpflicht in der Bundesrepublik komplett aufgehoben. Die Pocken (auch Blattern oder Variola) waren schon vor unserer Zeitrechnung in China bekannt. In Europa traten sie seit Jahrhunderten in regelmäßigen Abständen auf und waren als alltägliche Seuche verbreitet.
Die lmpfgeschichte beginnt als Pockenschutzimpfung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen des englischen Landarztes Edward Jenner (1749-1823). Seine Methode der Übertragung von Kuhpocken auf gesunde Menschen (Vakzination, lat. vacca = die Kuh) hatte sich bereits wenige Jahre nach ihrer Veröffentlichung 1798 durchgesetzt. Schon vor dem Reichsimpfgesetz gab es seit 1807 im Königreich Bayern und seit 1815 im Großherzogtum Baden gesetzliche Impfpflichten.
Das Königreich Württemberg folgte 1818. Im Pockenimpfgesetz wurde festgelegt, dass ,,jedem, nach dem 31. Dec. 1816 gebornen Kinde vor Ablauf seines zweiten Lebensjahres […] die Schutz-Pocken einzuimpfen sind" (§ 1). Falls Eltern ihre Kinder ohne hinreichenden Grund nicht impfen ließen, drohte ihnen eine Geldstrafe (§ 2). Ungeimpfte Kinder sollten zudem so lange Einschränkungen haben, bis sie ihre Impfung nachweisen konnten. Sie sollten u.a. keine Gymnasien oder Universitäten besuchen, sich in keine Handwerkerzunft einschreiben oder auch nicht heiraten dürfen (§ 2). Jede Gemeinde wurde verpflichtet, ein eigenes lmpfbuch zu führen. In diesem war zu jedem Kind zu dokumentieren, „an welchem Tage dasselbe geimpft oder von den Menschen-Pocken befallen worden sei, wer die Impfung verrichtet oder als Zeuge derselben angewohnt, welchen Erfolg dieselbe gehabt, oder aus welchen Gründen ein ansteckungsfähiges Kind während der gesetzlich vorgeschriebenen Zeit nicht geimpft worden sei“ (§ 14).
1829 wurde aufgrund der überhandnehmenden Pocken eine weitere königliche Verordnung erlassen, in der alle Personen bis zum „dreißigsten Lebensjahr“ zur Impfung aufgefordert wurden.
Das Stadtarchiv Fellbach verwahrt in seinen Beständen acht Bände dieser gesetzlich vorgeschriebenen lmpfbücher für den Zeitraum 1817 bis 1872.
In den allermeisten Fällen wurden die Impfungen ordnungsgemäß vorgenommen. War dies nicht der Fall, so finden sich hierfür hauptsächlich die Begründungen ,,abwesend", ,,ausgewandert" oder auch ,,verstorben". Nur äußerst selten sind Eintragungen wie ,,nicht erschienen aus Eigensinn" oder ,,aus Widerwillen und Eigensinn". Als lmpfarzt fungierte von 1817 bis 1839 der Chirurg Carl Alexander Arnold. Ab Juni 1840 werden die lmpfärzte lrion und Wagner genannt, ab 1860 weitere, wie etwa Heinrich Koch.
Johanes Irion, Wundarzt
Die im Stadtarchiv vorhandenen lmpfbücher geben durch ihre lückenlose Überlieferung einen guten Einblick in die Fellbacher lmpfgeschichte des 19. Jahrhunderts und stehen bei Interesse zur Einsichtnahme zur Verfügung.