Mörike-Preis 2024 für Jaroslav Rudiš
Feierliche Preisverleihung am 15. Mai 2024
Den Mörike-Preis der Stadt Fellbach 2024 erhält der in Berlin und in Lomnice nad Popelkou lebende tschechische Autor Jaroslav Rudiš auf Vorschlag von Jan Wiele, Feuilleton-Redakteur der FAZ, der diesmal als Vertrauensperson fungierte. Als Co-Jurorinnen wirkten Prof. Dr. Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs Marbach, und Prof. Dr. Barbara Beßlich von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Der Mörike-Preis ist mit 15 000 Euro dotiert und wurde am 15. Mai 2024 von Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull verliehen. Den Förderpreis in Höhe von 3 000 Euro hat Jaroslav Rudiš der tschechischen Autorin Alice Horáčková zuerkannt.
Impressionen: Preisverleihung und Kafka Band
Jan Wiele begründet seine Entscheidung wie folgt: „Jaroslav Rudiš ist ein Schriftsteller von romantischem Format. Sein auf Tschechisch begonnenes und auf Deutsch fortgeführtes Werk umfasst Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele und literarische Reisetexte. In der ,Kafka Band‘ tritt er außerdem auch als Sänger und Rezitator auf. Seine Literatur handelt von zeitgenössischen Figuren in modernen Metropolen ebenso wie von komischen Käuzen auf Reisen in die Vergangenheit. Insbesondere der 2019 veröffentlichte Roman ,Winterbergs letzte Reise‘, der von der Zugfahrt eines 99 Jahre alten Mannes durch Mitteleuropa erzählt, zeugt von der charakteristischen Art, mit der Rudiš gegenwärtiges Leben mit ,historischen Anfällen‘ verbindet: melancholisch, manchmal drastisch, immer sehr gewitzt. Als ,Eisenbahnmensch‘ ist Jaroslav Rudiš zudem auch ein sehr eigentümlicher, unverwechselbarer Reiseschriftsteller geworden.“
„Mit Jaroslav Rudiš hat Jan Wiele eine auf den ersten Blick sicher überraschende Wahl getroffen. Aber ein Preis wie der Mörike-Preis der Stadt Fellbach will immer auch den Horizont des literaturinteressierten Publikums erweitern und im Idealfall dieses Publikum vergrößern“, so Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull zum neuen Mörike-Preisträger. „Ich freue mich auf die Preisverleihung im Sommer, die erstmals eingebettet ist in ein Literaturfest ,Prosa, Pop und Poesie‘ – ein Format, das dem Schriftsteller, Drehbuchautoren und Musiker Jaroslav Rudiš sicher besonders angemessen ist und dem Publikum neue Perspektiven gewinnen hilft.“
Der Mörike-Preis wird 2024 zum zwölften Mal vergeben – und stets haben Vertrauensperson und Jury ein Gespür für das literarische Geschehen bewiesen. Seit 1991 wurden Wolf Biermann, Sigrid Damm, W. G. Sebald, Robert Schindel, Brigitte Kronauer, Michael Krüger, Ernst Augustin, Jan Peter Bremer, Jan Wagner, Elke Erb und Leif Randt ausgezeichnet.
Literatur wie Rock’n’Roll: Jaroslav Rudiš
Romane, Theaterstücke, Kinodrehbücher, Graphic Novels, Animationsfilme und immer wieder Rockmusik: Das Werk des tschechischen Schriftstellers, Dramatikers, Journalisten, Musikers und ehemaligen Lehrers Jaroslav Rudiš ist so vielfältig wie er selbst. Geboren am 8. Juni 1972 im nordböhmischen Turnov, studierte er Germanistik, Geschichte und Journalistik in Liberec, Zürich, Prag und schließlich Berlin und arbeitete als Lehrer und Journalist. Seiner neuen Heimatstadt setzte er in seinem Erstlingsroman „Nebe pod Berlínem“ (2002; dt. „Der Himmel unter Berlin“, 2004), ausgezeichnet mit dem Jiří-Orten-Preis, ein Denkmal. Sein zweiter Roman „Grandhotel“ erschien 2006 in seiner tschechischen Muttersprache und zwei Jahre später auf Deutsch, die Verfilmung war, mit dem Autor in einer Nebenrolle, 2006 auf der Berlinale zu sehen. Fast jährlich folgten sowohl in tschechischer als auch in deutscher Sprache Theaterstücke, Kino- und Fernsehfilme, Hörspiele, Opernlibretti und Essays. 2018 schrieb er mit „Der Besuch von Herrn Horváth“ seinen ersten Erzählband in deutscher Sprache, gefolgt von „Winterbergs letzte Reise“ (2019), „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“ (2021) und zuletzt „Weihnachten in Prag“ (2023).
Aufsehen erregte er nicht nur mit seinen eigenen literarischen Arbeiten, sondern auch mit Crossover-Projekten wie den Graphic Novels „Nachtgestalten“ (2021, mit Nicolas Mahler) und „Alois Nebel" (auf Deutsch 2012 erschienen) mit dem Künstler Jaromír 99, der in Tschechien als Rocksänger gefeiert wird. Die Verfilmung wurde 2012 mit dem Europäischen Filmpreis (Kategorie: Bester Animationsfilm) ausgezeichnet.
Gemeinsam mit Jaromír 99 tritt Jaroslav Rudiš als Musiker mit der Kafka Band auf, die Texte von Franz Kafka musikalisch bearbeitet und in Konzerten und Theaterabenden auf Tschechisch und Deutsch neu hörbar macht.
So wie er immer wieder die Grenzen zwischen den Genres überschreitet und neu definiert, ist der Bahnfreund selbst ebenso wie seine Figuren als Grenzgänger unterwegs. In „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“ passiert er im Takt der Eisenbahn die innereuropäischen Grenzen, von Berlin bis zum Gotthardtunnel und von Sizilien bis nach Lappland, von Hamburg nach Prag. Aber nicht nur diejenigen Grenzen, die auf Landkarten eingezeichnet sind, überqueren seine Helden: Sie lassen ihr bürgerliches tschechisches Dasein hinter sich und gehen in einer Berliner Rockband auf („Der Himmel unter Berlin“, 2002), verabschieden sich von ihrer Punk-Bar und stellen sich ihrer Vergangenheit als Rockstar („Vom Ende des Punks in Helsinki“, 2010) oder überqueren die dünne Linie, die den Held vom Verlierer trennt („Nationalstraße“, 2016).
Jaroslav Rudiš erhielt den Preis der deutschen Literaturhäuser 2018 und wurde 2021 als „einer der engagiertesten Brückenbauer zwischen Deutschland und Tschechien“ mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Der Fellbacher Mörike-Preis ehrt ihn laut eigener Aussage besonders: „Ich freue mich sehr über die Anerkennung und es ist mir eine große Ehre, in einer Reihe mit Schriftstellern zu stehen wie Wolf Biermann, den ich auch als Musiker sehr schätze, und W. G. Sebald, der einer meiner Lieblingsautoren ist und dem ich mich eng verbunden fühle.“
Förderpreisträgerin Alice Horáčková, geb. 1980, studierte in Prag und in Berlin und war lange als Kulturjournalistin tätig. 2014 veröffentlichte sie eine Biografie über die Beatnik-Dichterin Vladimíra Čerepková. In ihrem 2022 erschienenen vielstimmigen Roman „Rozpůlený dům“ (dt. „Geteiltes Haus“) arbeitete sie ihre eigene deutsch-tschechische Familiengeschichte aus dem Riesengebirge auf und lässt Erinnerungen ebenso wie Archivdokumente einfließen. Das Buch erntete in Tschechien viel Beifall und liegt in Teilen bereits ebenfalls auf Deutsch vor.
Literaturfestival zum Mörike-Preis: „Prosa, Pop & Poesie“
Der Mörike-Preis war Teil des Literaturfestes „Prosa, Pop & Poesie“, das von April bis Juli 2024 in Fellbach stattfand. Lesungen der Preisträger:innen, ein Konzert von Jaroslav Rudiš‘ Kafka Band, eine Ausstellung in der Galerie – auf Vorschlag des Preisträgers –, Open-Air-Veranstaltungen in den Tropfkörpern im Weidachtal sowie Theaterstücke und Lesungen für Kinder und Jugendliche rundeten das Programm ab.
Mörike-Rede und Literaturtage
Konstitutiver Bestandteil der Preisverleihung ist die Mörike-Rede des Preisträgers. Die Geehrten legen darin ihre persönliche Sicht auf den Namensgeber des Preises dar. Die Verleihung des Mörike-Preises ist stets mit den Fellbacher Literaturtagen verknüpft.
Die Vergaberichtlinien
Der Mörike-Preis der Stadt Fellbach wird seit 1991 in dreijährigem Turnus verliehen. Er ist mit 15 000 Euro dotiert. Ausgezeichnet werden deutschsprachige DichterInnen und SchriftstellerInnen, die durch die Qualität ihres Schaffens würdig erscheinen, im Namen von Eduard Mörike geehrt zu werden. Mit dem Mörike-Preis ist ein Förderpreis verbunden, der auch an fremdsprachige AutorInnen vergeben werden kann. Er ist mit 3000 Euro dotiert.
Über die Zuerkennung des Mörike-Preises entscheidet eine Vertrauensperson in alleiniger Verantwortung. Die Vertrauensperson wird von der Oberbürgermeisterin der Stadt Fellbach auf Vorschlag einer Jury benannt. Die Jury besteht aus einem Vertreter / einer Vertreterin des Literaturarchivs Marbach und einem ordentlichen Professor / einer ordentlichen Professorin für Literatur an einer deutschsprachigen Universität. Der Förderpreis wird von dem Preisträger / der Preisträgerin vergeben.
Alle Preisträgerinnen und Preisträger sind im Mörike-Kabinett des StadtMuseums mit originalen Porträts, Gegenständen und Autografen sowie Hörstationen mit ihren Mörike-Reden vertreten. Zwei weitere Räume widmen sich dem Aufenthalt des Dichters in der Stadt sowie "Mörike und den Frauen".