Grün gewaschenes Straßenbauprojekt „Nord-Ost-Ring“


„Die Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch und eine neuer Erkenntnisgewinn ist mit der Kampagne ‚Grüner Tunnel‘ nicht verbunden“, bilanziert Oberbürgermeisterin Gabriele Zull. Trotzdem wird sich der Fellbacher Gemeinderat in seiner Januarsitzung am Dienstag, 28. Januar, mit den Plänen des sogenannten „Grünen Tunnels“ befassen. Unter diesem Namen hat der Unternehmer Dr. Rüdiger Stihl erneut seine Vision ins Gespräch gebracht, ein Straßenbauprojekt zwischen den Bundesstraßen 14 und 27 in die Umsetzung zu bringen. Dabei soll der seit den 1970er Jahren diskutierte Nord-Ost-Ring als Tunnelvariante realisiert werden. Die Stadt Fellbach hat diesen mehrspurigen Schnellstraßenbau auf ihrer Gemarkung immer geschlossen abgelehnt. „Ein großer Flächenverbrauch ohne nachweisbaren verkehrlichen Nutzen“, so lautete das Fazit nach der letztmaligen Prüfung im Jahr 2020. Die relevanten Punkte der Diskussion sind auf der Homepage der Stadt Fellbach zusammengefasst.

Der sogenannte Nord-Ost-Ring gilt als „Überbleibsel“ einer Straßenplanung aus den 1960er Jahren. Damals war eine Autobahn nördlich von Stuttgart angedacht, über die die Region großräumig umfahren werden sollte. Die Autobahn wurde nie realisiert und die Pläne dafür zum großen Teil ad acta gelegt. Mit verschiedenen Projekten – unter anderem mit dem Ausbau bestehender Bundesstraßen – setzten die Verkehrsplaner auf Alternativen. Unter dem Nord-Ost-Ring verstehen die Befürworter heute eine Verbindung der Bundesstraßen 14/29 und 27, die die Fahrzeit zwischen den Landkreisen Ludwigsburg und Rems-Murr verkürzen soll. Dabei ist der Ring kein Ring, sondern ein mehrspuriges Teilstück zwischen den bestehenden Bundesstraßen. Erstmals hatte der Unternehmer Dr. Stihl diesen Straßenbau im Januar 2020 als Tunnelvariante wieder ins Gespräch gebracht und unter dem Namen Landschaftsmodell Nord-Ost-Ring beworben.

Auf Initiative des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann erfolgte ebenfalls im Jahr 2020 ein ausgiebiger Faktencheck. In diesem Check wurden die Argumente für und gegen dieses Teilstück gesammelt und von Experten bewertet. Ohne einen Ringschluss – also einer ebenfalls zu bauenden neuen Filderauffahrt – würde ein solcher Ausbau keine nachhaltige Verbesserung des Verkehrsflusses bewirken und schnell „wieder volllaufen“, so eines der Ergebnisse des Faktenchecks. Außerdem vernichte der Straßenbau hochwertige landwirtschaftliche Flächen und damit die Lebensgrundlage der Fellbacher und Kornwestheimer Landwirte. Im Ergebnis sollte auf den Ausbau des Nahverkehrs, auf kleinere entlastende Straßenbauprojekte und auf eine intelligente Verkehrsführung gesetzt werden.

Seit mehreren Monaten wirbt Dr. Stihl im Verbund mit weiteren Unternehmen mit der Kampagne „Grüner Tunnel“ wieder für das Straßenbauprojekt. Dabei thematisiert die Kampagne nicht den Straßenbau als solchen, der großflächig Landschaft und Grünflächen vernichten würde, sondern einen nicht belegten Zeitgewinn für Pendler, verbunden mit einem attraktiven naturnahen Landschaftsraum. „Der Straßenbau würde eine der letzten Freiflächen im Norden Fellbachs vernichten, unsere Bevölkerung über Jahre oder Jahrzehnte mit Baustellen belasten, hochwertige Böden vernichten und gefährdeten Tier- sowie Pflanzenarten die Lebensgrundlage entziehen. Hier von einem ‚grünen Projekt‘ zu sprechen, ist Augenwischerei“, erklärt Oberbürgermeisterin Zull. Außerdem sei die mit der Kampagne verbundene Abstimmung keineswegs eine Abstimmung, „sondern als eine reine Zustimmung für ein nicht genauer erklärtes Straßenbauprojekt angelegt. Diese Art der ‚Abstimmung‘ entspricht nicht meinem demokratischen Verständnis.“

Das Landschaftsmodell Nord-Ost-Ring wurde von Dr. Stihl und die von ihm beauftragten Experten im Sommer 2020 im Fellbacher Gemeinderat vorgestellt. Für die neue Kampagne gebe es keine geänderten Planungsgrundlagen oder Untersuchungen. „Für uns gilt die Zusammenfassung des Faktenchecks“, so die Stadtverwaltung. „Wir sind aber immer für einen Austausch und für Gespräche offen.“ Zumal durch technische Entwicklungen und mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz auch intelligente Verkehrslenkungen und andere klimafreundlichere Lösungen wahrscheinlich machbar wären. Bereits 2020 sei das Projekt im Kosten-Nutzen-Kontext nicht positiv bewertet worden, dies gelte gerade als Tunnelvariante bei den heutigen Baukosten weiterhin. In allen Kommunen müssten zudem bestehende Brücken und Straßen saniert werden. „Die Mittel, die hierzu benötigt werden, sind beträchtlich,“ führt Oberbürgermeisterin Zull aus.

Weitere Infos:

www.fellbach.de/nord-ost-ring