Abriss der Lieferketten und andere Krisen
Nach zweijähriger Pause konnte der RemsTalk, das traditionelle Netzwerktreffen der Unternehmen aus dem Remstal wieder stattfinden. In der Schwabenlandhalle informierten sich am Mittwoch, 21. September, mehrere hundert Betriebsinhaber und Einkäufer über Engpässe im Lieferverkehr und die kommenden gesetzlichen Herausforderungen in diesem Bereich. Im Zentrum der Netzwerkveranstaltung, die die Wirtschaftsförderer von Fellbach, Waiblingen, Korb, Weinstadt und Winnenden, der Rems-Murr-Kreis sowie die Volksbank Stuttgart organisiert hatten, standen aber auch Themen wie die immens gestiegenen Energiepreise, Inflation und Fachkräftemangel.
„Ein Vernetzungstreffen der wirtschaftlichen Akteure in dieser Zeit ist wichtiger denn je“, stellte Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull zu Beginn fest. War früher das Ziel, keine Lagerkapazitäten aufzubauen und alles „just in time“ zu produzieren, stelle diese Praxis die Unternehmen jetzt vor große Schwierigkeiten. Globale Liefernetzwerke seien gefährdet, Lieferanten brächen weg und Produkte könnten wegen fehlender Komponenten nicht ausgeliefert werden. Der russische Angriffskrieg habe deutlich gezeigt, wie verletzlich dieses Systems ist, auch wenn es bereits vorher zu Problemen gekommen sei. Die Unternehmen seien durch „mehrere existenzielle Krisen“ gefordert, stimmte Stefan Zeidler, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Stuttgart, in seinem Grußwort zu. Sowohl er als auch der Moderator des Abends, der Wirtschaftsfachmann Markus Gürne, betonten allerdings, dass die schwäbischen mittelständischen Unternehmen hier deutlich besser reagieren könnten als große Konzerne. „Sie sind innovativ und erfinderisch.“
„78 Prozent der Liefermärkte für die baden-württembergischen Unternehmen sind in Europa“, führte der Referent des Abends, Olaf Holzgrefe aus. Der Leiter International des Bundesverbandes für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik sieht im europäischen Raum noch viel Potenzial alternative Märkte zu erschließen. Er betonte allerdings auch die Anforderungen an die Unternehmen nicht nur durch das Lieferkettensorgfaltsgesetz, das im kommenden Jahr in Kraft tritt, deutlich wachsen. Stand früher Preis, Qualität und Zuverlässigkeit im Fokus kämen zu diesen Faktoren jetzt noch Effizienz, Nachhaltigkeit und Resilienz. Gerade in der Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit bei der Vielzahl an Krisen sowie der Nutzung von digitalen Möglichkeiten sieht der Fachmann Lösungen.
Die Unternehmen seien im Krisenmodus, erklärte Prof. Dr. Rainer Lindner, Vorstandsvorsitzender des Fellbacher Stahlgroßhändlers Heine+Beisswenger. „Die nächsten Monate werden mit die anspruchsvollsten“, so seine Einschätzung. Allein der Energiepreis habe sich in einem Jahr verdreifacht. Lindner betonte auch, dass sich die Anforderungen der Kunden änderten. „Niemand will investieren, wenn Lieferschwierigkeiten absehbar sind.“ Daher würden bereits beim Einkauf die Liefermärkte auf Krisenfestigkeit geprüft. Auch Hans Werner Reinhard, Geschäftsführer der Messerfabrik Alfred Giesser stimmte der Einschätzung zu. Die Themen Energiesicherheit, Inflation, höhere Löhne, die Angst vor temporären Stromausfällen oder vor Materialmangel verlangten den wirtschaftlichen Akteuren vieles ab. Risikoeinschätzungen und -management seien überlebenswichtig.
Sich als Unternehmer in diesen vielfachen Krisen gut aufzustellen, die Herausforderungen im Blick zu haben und Risiken frühzeitig einschätzen zu können, stelle hohe Anforderungen erklärten Oberbürgermeisterin Zull und Vorstandsvorsitzender Zeidler. In der Talkrunde des Netzwerktreffens waren beide Unternehmer trotz der ernsten Lage optimistisch. Der Druck erzeuge Innovationen, so die Einschätzung. Heine+Beisswenger hat in den vergangenen Monaten eine der größten Fotovoltaikanlagen Fellbachs auf dem Dach des Betriebsgebäudes installiert, erprobt E-Lastkraftwagen und prüft Wasserstofftechnologie. „Wir müssen uns gegen diese Krise stemmen“, erklärten Lindner und Reinhard. In den nachfolgenden Diskussionen zeigte sich deutlich, dass die Meinung geteilt wurde und bei allem Ernst für die Lage, auch Chancen gesehen werden.
v.l.n.r.: Hans Werner Reinhard (GF Alfred Giesser Messerfabrik) | Prof. Dr. Rainer Lindner (VV Heine+Beisswenger) | Moderator Markus Gürne | Stefan Zeidler (VV Volksbank Stuttgart eG) | Key-Note-Speaker Olaf Holzgrefe
(Foto: Nikolaus Gruenwald Photography)