Fellbach schon jetzt ein „sicherer Hafen“?


Lukas Hösch schildert eine Rettungssituation.

Beim Infoabend in der Volkshochschule: Lukas Hösch schildert eine Rettungssituation.

Im Jahr 2021 starben bis zum 22. August 1.214 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer. Seit dem Jahr 2014 waren bis zu diesem Zeitpunkt mehr als 22.200 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken (Statista.de, 26.09.2021). „Ein Thema, mit dem wir in Fellbach scheinbar wenig zu tun haben“, wie Dr. Stefanie Köhler, Leiterin der Volkshochschule Unteres Remstal, in ihrem Grußwort zum Informationsabend „Fellbach und die Seenotrettung“ verdeutlichte; aber eben nur „scheinbar“. Um dem Sterben auf und im Mittelmeer Einhalt zu gebieten, hatte Stadtrat Armin Fischer (Die Linke) bei den Beratungen zum Haushaltsplan 2020 beantragt, die Stadt möge der Initiative „Seebrücke“ beitreten; Fellbach solle hierdurch zum „Sicheren Hafen“ erklärt werden.
Um diese Möglichkeit - das Für und Wider eines solchen Schrittes – näher zu beleuchten, fand am vergangenen Donnerstag eine Infoveranstaltung mit anschließen-der Podiumsdiskussion unter dem Titel „Land in Sicht – Fellbach und die Seenotrettung im Mittelmeer“ statt; Corona-bedingt genau 18 Monate später als ursprünglich geplant. Knapp 50 Interessierte hatten sich dazu in der Volkshochschule in Fellbach (VHS) eingefunden, um sich mit der Frage zu beschäftigen: „Was können oder müssen wir tun, angesichts des Sterbens im Mittelmeer?“ Durch den Abend führte SWR-Redakteurin Susanne Babila. Die Journalistin wurde 2008 für ihren Dokumentarfilm "Im Schatten des Bösen: Der Krieg gegen die Frauen im Kongo" mit dem "Deutschen Menschenrechts-Filmpreis" ausgezeichnet.

In seinem Grußwort erinnerte der Erste Bürgermeister Johannes Berner an die so genannte Flüchtlingskrise 2015/2016, während derer sich Fellbach überproportional engagiert habe. „Fellbach hat damals eine besondere Form der Willkommenskultur vorgelebt. Ich denke da unter anderem an die Flüchtlinge, die in der zur Flüchtlingsunterkunft umgebauten Festhalle Schmiden untergebracht waren. Für diese Willkommenskultur steht auch der Freundeskreis für Flüchtlinge und seine Arbeit“, verdeutlichte Berner.
Einen lebhaften und bedrückenden Einblick in die Situation der Geflohenen bot im Anschluss die Asylpfarrerin Ines Fischer aus Reutlingen. Sie beschrieb die Verfassung der Menschen, die es bis nach Deutschland schaffen, ohne zu beschönigen: „Die Menschen wollen kein besseres Leben – sie wollen leben!“. Außerdem gab die evangelische Pfarrerin einen kurzen Einblick in die Kontingentlösungen der Bundesrepublik und stellte klar, dass man einer Bewegung wie der „Seebrücke“ nicht beitreten kann. Sich zu einem „sicheren Hafen“ zu erklären, sei etwas anderes. Sichere Häfen seien Städte und Gemeinden, die geflüchtete Menschen besonders willkommen heißen und sich dazu bereiterklären würden, mehr Menschen aufzunehmen als vorgesehen. Dieser Schritte gehe über „Symbolpolitik“ weit hinaus und habe bei den Verantwortlichen in Bund und Land die konkrete Bereitschaft gefördert, geflüchtete Menschen durch Sonderkontingente aufzunehmen. Die packenden Schilderungen von Lukas Hösch sorgten für noch mehr Betroffenheit im Hansel-Mieth-Saal. Der junge Mann aus Oeffingen, der aktuell ein Ingenieursstudium absolviert, hatte im Sommer 2019 nach dem Abitur als Seenotretter auf der „Alan Kurdi“ geholfen, Menschen zu retten. Die 60 Jahr alte „Alan Kurdi“ ist ein ehe-maliger Offshore-Versorger und war vor der Umnutzung als Forschungsschiff auf den Weltmeeren unterwegs. Es wird seit 2018 von der deutschen Hilfsorganisation Sea-Eye zur Seenotrettung im Mittelmeer eingesetzt und trägt seit dem Jahr 2019 den Namen des ertrunkenen syrischen Flüchtlingskindes Alan Kurdi.
Hösch schilderte das Vorbereitungsprozedere, das von lebensnotwendigen Trainings und Briefings bestimmt wird, bevor in See gestochen wurde. Während seines Einsatzes traf die „Alan Kurdi“ dann auch tatsächlich auf ein Boot mit 40 Menschen. Das eingeübte Prozedere setzte sich in Gang: Ein Schlauchboot näherte sich den Geflohenen, verteilte Schwimmwesten und versuchte die Menschen zu beruhigen, bevor die eigentliche Bergung begann. Nach der Rettung begann die Zeit des Bangens und Wartens, bis ein Zielhafen gefunden wurde. Währenddessen wurden die „Gäste“, wie die Geretteten auf der „Alan Kurdi“ genannt werden, bestmöglich versorgt. „Viele haben Traumata und manche sogar Schusswunden“, berichtet Hösch. Und „keiner weiß, wann es an Land geht. Nicht mal der Kapitän.“ Der Einsatz von Lukas Hösch fand glücklicherweise ein gutes Ende: Nach bereits etwa fünf Tagen erklärte sich Malta bereit, die 40 Geflohenen aufzunehmen.

Im Anschluss an die Rettung fanden und finden sich die geschwächten Menschen vielfach in einem Flüchtlingslager wieder. Durch den Brand im September 2020, der es völlig zerstört hatte, ist das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos das bekannteste. Der Reutlinger Hausarzt Dr. Martin Binder hat eigens seinen Ruhestand unterbrochen und sich in Moria mehrere Monate lang um die Menschen dort gekümmert, teilweise als einziger Facharzt vor Ort. „Das war die bewegendste Zeit in meinem Leben“, gibt der Allgemeinmediziner zwischen seinen Schilderungen zu. Vor allem im neuen Lager „Karatepe“ sieht der Arzt viele Probleme: „In Moria gab es noch so etwas, wie ein Dorfleben mit Spielplätzen und Kindergärten. Im neuen Lager gibt es das nicht. Das ist ein riesiges Problem für die Kinder dort“, so Binder. Auch die Mängel und die Willkür bei der asylrechtlichen Bearbeitung der Fälle in Griechenland stoßen bei Binder auf Unverständnis und Betroffenheit.
In der anschließenden Podiumsdiskussion konnte festgestellt werden, dass in Fellbach insbesondere dank der ehrenamtlichen Gruppen und Vereine bei der Integration der geflüchteten Menschen gute Arbeit geleistet wird. Kritik gab es an vermeidbaren Hürden, beispielsweise in Form von Formularen, die auch für Muttersprachler oftmals schwer verständlich seien.

Zum Abschluss versicherte der katholische Pastoralreferent Martin Wunram: „Verstecken müssen wir uns nicht. In Fellbach gibt es viele Menschen, die viel tun, ohne darüber zu sprechen.“ Und auch Ines Fischer attestierte dem Sozialbürgermeister: „In meinen Augen ist Fellbach bereits jetzt ein sicherer Hafen!“. Das zeige schon al-lein die Gemeinschaftsveranstaltung zu diesem Thema. Veranstaltet wurde der Abend von der Stadt Fellbach, der vhs Unteres Remstal, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Fellbach, dem Freundeskreis für Flüchtlinge in Fellbach und den Oeffingern Pfadfindern.

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Redakteur / Urheber
© Julia Küstner (Stadt Fellbach)